Denkmalpflege hat viel mit Ortsbesichtigungen zu tun. Ob Einfamilienhaus oder Großsiedlung, Kapelle oder Dom, Schule, Rathaus, Museum, Mühle, Molkerei oder Tankstelle, Garten, Friedhof oder Park: Wer ein Objekt, das möglicherweise ein Denkmal ist, wirklich beurteilen möchte, muss hinfahren und es sich anschauen. In Zeiten von Corona ist das für die Mitarbeiter*innen des LVR-Amts für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR) nicht möglich. Da heißt es, erfinderisch zu sein. Der Kunsthistoriker Dr. Martin Bredenbeck, der erst vor wenigen Wochen seine Arbeit als Inventarisator im Denkmalpflege-Fachamt aufgenommen hat, hilft sich mit Google Maps und Streetview. Seine Aufgabe ist es, jüngere Objekte aus den 1960er bis 1980er Jahren ausfindig zu machen, die möglicherweise als Denkmäler schützenswert sind. Für ihn ist das eine Gelegenheit, sich mit den ab 2008 entstandenen, 2010 veröffentlichten Aufnahmen von Google Streetview zu versöhnen. Damals löste diese neuartige Form von Sichtbarkeit heftige öffentliche Debatten aus. Zumindest wurden alle Gesichter unkenntlich gemacht, und Eigentümer*innen konnten ihre Objekte verpixeln lassen. "Heute kann das Medium helfen, durch die 3D-Ansichten aus der Luft und durch virtuelle Befahrungen Hinweise zu einem Objekt zu erhalten, gerade wenn es keine Fotos gibt", so Bredenbeck.Momentan ist Streetview also die einzige Form der kontaktlosen Dienstreise für die Denkmalpfleger*innen, die ihren Dienstsitz in der Abtei Brauweiler in Pulheim haben. Was ihnen der Bildschirm zeigt, bedarf allerdings der genauen Überprüfung, denn die virtuelle Dienstreise ist an manchen Orten eine regelrechte Zeitreise, wie Bredenbeck bei seiner Suche nach Bauten aus der Zeit des Brutalismus bis zur Postmoderne in Bonn und Düsseldorf festgestellt hat. Bis zu zwölf Jahre alt sind die Bilder, und die Situation vor Ort sieht mitunter längst anders aus, gerade nach Jahren des Baubooms. Wo Streetview noch das markante Siemensgebäude in Düsseldorf-Unterbilk zeigt, eine dreiteilige Wabenstruktur aus den 1960er Jahren, gleich hinter dem Stadttor, da zeigen aktuelle Luftbilder von 2020, dass der Baugrund soeben für Neues freigemacht wurde. In solchen Fällen hält der Wissenschaftler kurz inne für ein ehrendes Andenken. Dann heißt es Weiterklicken auf den Pfeil, denn das nächste interessante Gebäude steht gleich nebenan. "Am Ende geht nichts über die Autopsie, bekannt aus dem Tatort und im Grunde nichts Anderes als persönliche Inaugenscheinnahme", so Bredenbeck. Eines Tages wird auch sie wieder möglich sein.Die beschriebene Methode der breiten Erfassung einer ganzen Objektgattung hat sich bei der Inventarisierung von Denkmälern bewährt. So wurde auch die große Zahl an Nachkriegskirchen im Rheinland unter der Leitung des Denkmalpflege-Fachamts des LVR zunächst systematisch erfasst - das heißt, die Objekte wurden gesammelt, fotografisch dokumentiert, kurz beschrieben und datiert. Erst im nächsten Schritt wurden sie begutachtet und ggf. für denkmalwert erachtet. "Diese Methode ermöglicht es uns, einen Überblick zu gewinnen, Objekttypen zu erkennen und die Spreu vom Weizen zu trennen", erläutert Dr. Helmtrud Köhren-Jansen, Leiterin der Abteilung Inventarisation. In den meisten Fällen und in Zeiten ohne Dienstreiseeinschränkung sieht der Alltag in ihrer Abteilung, bei der fast täglich Hinweise auf mögliche Denkmale verschiedenster Epochen und Gattungen im ganzen Rheinland eingehen, anders aus. Dann heißt es hinfahren, anschauen, recherchieren, verstehen, bewerten und gerichtsfest begründen, warum es sich um ein Denkmal handelt und was seine prägenden Merkmale sind.In früheren Jahrzehnten gingen Denkmalbegründungen deutlich schneller vonstatten als heute. So sind in Denkmalpflegekreisen die damaligen sogenannten Listenerfassungen legendär, die in den späten 1970er Jahren begonnen haben. Zahllose Denkmalpfleger*innen schwärmten damals rheinland- und westfalenweit aus, um die reiche Denkmallandschaft Nordrhein-Westfalens im Schnellverfahren in Listen zu erfassen. Das 1980 in Kraft getretene Denkmalschutzgesetz des Landes – das in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiert – lieferte die Grundlage für dieses Vorgehen und erforderte den Generalüberblick. Die Fachämter der beiden Landschaftsverbände hüten die Unterlagen von damals bis heute als besonderen Schatz, z.B. die rheinischen Reisekarten, die im Archiv des LVR-Amts für Denkmalpflege im Rheinland aufbewahrt werden.
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